Begegnungen

Samstag, 3. Juni 2006

Zug um Zug: Die Saxophonistin"

Schräg gegenüber meines Platzes bemerke ich eine junge Frau. Dem Anschein nach hat sie etwas mit Musik zu tun. Zwischen den mit schlichten Holzabsätzen versehenen Schuhen, die ihre filigranen Füßchen halten, versteckt sich ein wuchtiger schwarzer Kasten in dem sich ohne viel an Fantasie ein Instrument vermuten lässt. Auf ihrem Schoß trohnt ein Stapel handgezeichneter Notenblätter, zu dem sich ihr Blick richtet.

Ein Geigenkasten? Vielleicht ein Koffer für ein Saxophon. Was weiß denn ich Banause schon, wo ich doch glatt der absolut unmusikalischste Mensch auf Erden sein könnte.

Sie widdmet sich weiter ihren Noten. Mit der akribischen Genauigkeit einer Schweizer Taschenuhr scheinen die Finger ihrer linken Hand das Wasauchimmer an Melodie nachzuvollziehen, welches sich gerade in ihren Gedanken zu manifestieren beginnt.

Die rhytmisch exakten Bewegungen ihres sonst ruhigen Körpers ziehen mich wie magisch in ihren Bann und in Gedanken spinne ich mir eine Melodie zusammen.

Aber ja! Warum fiel mir das nicht gleich ein? Ihre Finger immitierten die Bewegungen des Auf und Zu der Ventile eines Blasinstruments. Die eines Saxophons wohlmöglich.

Wie hübsch sie doch ist, denke ich mir und merke, dass sie mir gefällt. Eine Art stiller Neugier macht sich in mir breit, nach dem was die Musik wohl für sie bedeuten mag.

An ihrem Herzen liegen - eine plötzich gefällige Vorstellung, mit einem Menschen dessen zauberhafte Existenz mir bis vor wenigen Minuten noch nichtmal bewusst war.

Das Unbewusste wird jetzt zum Rätsel. Die ganze Fahrt über lege ich mir die passenden Worte zurecht, mit denen ich mir ihre Aufmerksamkeit sichern könnte.

Ich würde mich zu ihr setzen, fragen ob sie Musik macht, was offensichtlich und somit vielleicht einfach nur eine dumme Frage ist. Würde sie genau das denken, hätte ich auch für diesen Fall die passende Antwort. Entschuldigung, ich war einfach neugierig.

Vielleicht wäre dort auch schon am Ende was so kurz zuvor erst seinen Anfang nehmen sollte. Andererseits.. wäre ihr etwas Ablenkung vielleicht gerade recht. Ich würde sie auf einen Kaffee einladen, ganz sicher. Nur fragen müsste ich. Fragen sind so eine leidige Angelegenheit, die ich bis heute nicht wirklich gut zu meistern weiß.

Fünfzehn Minuten später steigen wir schließlich aus - und ich habe sie natürlich nichts gefragt, habe sie nur angesehen, die ganze Zeit über. Wir stehen nun an der Tür, deren Öffnung unsere Wege bei der nahenden Ankunft ewig zu trennen droht.

Sie steht rechts - nur etwa einen Meter von mir entfernt, wirkt gedankenverloren, während sie nach draussen in den lauwarmen Regen schaut. Meine Blicke wollen sich zu den ihren stehlen, doch sie schaut weiter in nur den Regentropfen zu. Sie fängt an zu lächeln, einfach so, wahrscheinlich nur einen Bruchteil einer Sekunde lang.

Neugier, schon wieder. Oder immer noch? Neugier nach dem Gedanken, der ihr zu diesem kurzen und intensiven Lächeln verholfen haben mag. Die Tür öffnet sich, und die Fahrgäste strömen aus und gleichzeitig in den Zug. Höflichkeit ist etwas anderes, denke ich mir im Gedränge, als sie im nächsten Augenblick bereits verschwunden ist.

Die Treppe herunter, geradewegs durch den Untergrund. Sie geht weiter geraudeaus, ich links dem Ausgang entgegen. War es das jetzt? Verdammt, das war es. Oder doch nicht? Nach etwa fünfzig Metern entschließe ich mich umzukehren und sie zu suchen.

Jemandem nachlaufen, das machen doch nur Verrückte. Bin ich verrückt? Bahnsteig um Bahnsteig suche ich nach ihr ab, Zug um Zug, doch an den Fenstern der Waggons zeichnen sich bloss lehre Gesichter ab. Keines voller Musik, keines mit Leben angefüllt.

Ich gebe mich geschlagen. Sie ist weg, wahrscheinlich für immer. Nun da ich den Mut gefunden habe meine Neugier und die Sehnsucht nach der vielleicht einen besonderen Frau im Leben zu stillen, bleibt nur die Gewissheit erneut eine Chance vertan zu haben.

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